Warum »Dinner for One« seit 60 Jahren unser Silvester prägt – und was dahintersteckt

Admin User
3 Min.
Eine Gruppe von Menschen sitzt an Tischen mit Essen, Fernsehern, Lampen, hängenden Papieren und Vorhängen in einem Raum.

Warum »Dinner for One« seit 60 Jahren unser Silvester prägt – und was dahintersteckt

Jedes Silvester schalten Millionen in den deutschsprachigen Ländern ein, um Dinner for One zu sehen – eine 18-minütige Komödie aus dem Jahr 1963, die längst zum geliebten Festtagsritual geworden ist. Die Handlung folgt Miss Sophie, einer betagten Aristokratin, die ihren 90. Geburtstag mit einem opulenten Mahl feiert – begleitet nur von ihrem Butler James, der ihre vier längst verstorbenen 'liebsten' Freunde verkörpert. Was einst als Fernseh-Lückenfüller begann, entwickelte sich zu einer Tradition, die Humor mit berührenden Themen wie Einsamkeit und dem Schwinden alter Klassenstrukturen verbindet.

Die Sketch wurde erstmals vom NDR als Teil der Unterhaltungssendung Guten Abend, Peter Frankenfeld aufgezeichnet. Der Komiker Peter Frankenfeld hatte Freddie Frinton, den Darsteller des James, während eines Auftritts in Blackpool, Großbritannien, entdeckt. Die Produktion hatte 1963 Premiere im deutschen Fernsehen, doch erst nach der Ausstrahlung 1972 wurde sie zum Silvester-Klassiker. In einem englischen Salon um 1900 inszeniert, entfaltet sich die Geschichte, während Miss Sophie – gespielt von May Warden – ein minutiös durchgeplantes Dinner gibt, bei dem zu jedem Gang ein bestimmtes Getränk gehört.

James, der pflichtbewusste Diener, serviert nicht nur das Essen, sondern schlüpft auch in die Rollen der abwesenden Gäste. Mit jedem Toast leert er deren Gläser und wird zunehmend betrunken. Sein Kontrollverlust spiegelt den Zerfall der starren gesellschaftlichen Ordnung wider, die das Dinner symbolisiert. Der Witz liegt in diesem Kontrast: Die Trunkenheit des Butlers stört das aristokratische Ritual und entlarvt dessen Leere. Doch hinter der Komik verbirgt sich Tieferes. Miss Sophies Beharren auf Tradition unterstreicht ihre Isolation – aus der einst glanzvollen Runde ist eine bloße Inszenierung geworden. Die Beziehung zwischen ihr und James ist vielschichtig: eine Mischung aus Vertrautheit und Abhängigkeit, mit dem unausgesprochenen Bewusstsein, dass beide Rollen in einer untergegangenen Welt spielen. Das Dinner, einst Symbol des Privilegs, überlebt nur noch als gespenstische Nachstellung, bei der die Bediensteten die Plätze ihrer früheren Herren einnehmen.

In knapp 20 Minuten vereint Dinner for One scharfsinnige Beobachtungen über Rituale, Klassenverfall und die stille Einsamkeit des Alters. Das formelle Mahl mit seinen kolonialzeitlichen Gängen und strengen Benimmregeln wird zur Bühne für diese Themen – und macht den Sketch zu weit mehr als nur einem saisonalen Scherz.

Mittlerweile fester Bestandteil des Silvesterprogramms, überdauert Dinner for One, weil es Humor mit gesellschaftskritischem Tiefgang verbindet. Die Darstellung von Ritual und Isolation trifft einen Nerv und wirft – fast beiläufig – die Frage auf, wie Traditionen fortbestehen, selbst wenn ihr ursprünglicher Sinn verblasst. Für das Publikum bleibt der Sketch zugleich komödiantische Ablenkung und subtile Mahnung an die Vergänglichkeit hinter den großen Auftritten der Gesellschaft.